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Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Gerhard Falkner,

 

Gerhard Falkners Gedichte fassen den Wahnsinn, in dem und mit dem wir leben, in eine Sprache, die uns anfasst, weil sie das Himmlische und das Höllische seelischer Äquivalenzen auf den poetischen Punkt zu bringen vermag. Sie befinden sich damit im Auge des Zyklons, der als Weltkrise selbst jene noch das Fürchten lehrt, die sie heraufbeschworen hatten. Wenn solch anmaßend-despektierliche Zirkelsätze den Auftakt für die Preisung des besten deutschsprachigen Gedichtbandes des Jahres 2008 intonieren, werden sie begründet werden müssen. Deshalb soll auf Vorgeschichten eingegangen werden und Vor-Vorgeschichten, die allesamt sich bündeln in der hier und heute ausgezeichneten Sammlung „Hölderlin Reparatur“. Sowenig man über dieses Buch sprechen kann, ohne auf Hölderlin einzugehen, sowenig kann man über aktuelle Falkner-Gedichte nachdenken, ohne die sirenischen Stimmen der älteren in die Geschichte einzusenken. Es ist den Gründen nachzuspüren, warum seit Erscheinen seines ersten Gedichtbandes „so beginnen am körper die tage“ 1981 die Rezeption des Falknerschen Werkes kontinuierlich nur zwei Amplituden kennt – die begeisterte Aufnahme wie die schroffe Ablehnung, und wie diese seltsame, seinesgleichen suchende Kontinuität mit gesellschaftlichen Verfasstheiten offenbar koinzidiert. Denn die Falknersche Lyrik stach stets traumsicher in die Wundstellen jeweiliger Selbstvergewisserung deutscher Kultur der sublimeren Art, die gewohnt war, politisch zu sortieren oder grob-ästhetisch, und die nun einem Rätsel standhalten sollte. Es muss ja Gründe geben, dass 2006 ein weitaus jüngerer Lyriker, Steffen Popp, zum Erstlingswerk notierte:

„Eine Art Efeu, gelangt das Sprechen an dieser Kontur, diesen Linien aus Vergeblichkeit und Schmerzen, zu einer Form; getrieben vom Willen zur Fassung der Situation, zur Behauptung einer eigenen Wirklichkeit, entwirft Falkner seine Gedichte um Momente des Außerordentlichen, Momente des Intensiven, der unverhältnismäßigen Durchdringung oder einfach nur des Gelingens, die es gegen eine in ihren Verhältnissen ruhende Welt zu verwirklichen gilt.“

Mich an meine eigenen starken Glücksgefühle bei der ersten Lektüre des Luchterhand-Bändchens erinnernd, bin ich mir sicher, dass es kein Zufall sein kann, dass diese seltene Art von Nobilität seit einigen Jahren von nachgewachsenen Lyrikern wie Steffen Popp, André Rudolph oder Uwe Tellkamp als beerbbar gilt, angesichts des Endlosgeplappers ringsum.

Gehen wir aber zunächst fast dreißig Jahre zurück: Der Zustand weiter Bezirke der bundesrepublikanischen Lyrik Anfang der achtziger Jahre lässt sich in wenigen Stichworten beschreiben: Es dominierten Befindlichkeitsgeschwurbel, die Wiederentdeckung der Form als Häkelarbeit, Oberflächenbebilderung und Drittaufgüsse der einstmals innovativen „konkreten Poesie“. In diese Landschaft siedelte nun plötzlich eine Dichtung, deren Fahnenworte „Schönheit“, „Erhabenheit“, „Sprachraffinesse“ hießen, und als wären solche Entlegenheiten nicht genug, von Anfang an verbunden war mit essayistischer Analyse und Polemik, etwa in Richtung der Brinkmann-Adepten: „Die Warenscheinlichkeit unserer Gesellschaft und die Verschleierung der Herrschaft ist zu infam, als daß sie sich in einem Spot auf Supermärkte ‚erkenntlich’ zeigen würde. (...) Jede Kunst, die meint, es genüge, abzubilden oder zu wiederholen, was oben auf der Hand liegt, übersieht neben ihrer ostentativen Belanglosigkeit auch ihr affirmatives Agens. Die ‚ungekünstelte’ Sprache ist eine beherrschte Sprache.“ /KT 73f.) Die Einsicht in die Warenförmigkeit auch der randständigen Lyrikproduktion ermöglichte es Falkner, illusionsloser als viele seiner Kollegen, die Zusammenhänge zwischen Herrschaftsdiskursen und Poesie auszuleuchten. Den Wiedergewinn konzentrierter, erhabener Sprechweisen in der Dichtung begriff er nicht nur als Gegenpol zu den umlaufenden Beliebigkeitsartistiken, sondern als kulturkritischen Widerpart zu diversen Zerstreuungsideologien, die damals frisch in Umlauf gebracht worden waren. Und tatsächlich wurde bald schon die postmoderne Flickwerk-Kultur mit ihrer Feier des Partikulären und Entlegenen gegen die vermeintlich obsoleten Metaerzählungen von Aufklärung und Emanzipation alles durchsickernder Zeitgeist. Er mündete in den Fukujama-Thesen vom „Ende der Geschichte“ und der teilweisen Selbstaufgabe widerständigen Denkens in der „Berliner Republik“. Dialektiker allerdings können komplexe Phänomene komplex in Augenschein nehmen. Gerhard Falkner unternahm in den achtziger Jahren ein einsames Abenteuer, gleichsam als Foucault der deutschen Poesie. Er unterzog die Möglichkeiten poetischen Sprechens einem Härtetest, indem er poststrukturalistische Maxime wie Stimmensplitting, Dekonstruktion, Abkehr vom Individualstil, intertextuelles Verweisspiel in seinem dritten Gedichtband „wemut“ anwandte und zugleich überprüfte. Mit Verve entwand Falkner „alte“ Grundworte des Poetischen wie „Seele“, „Atem“, „Glanz“, „Asche“, „Blume“, „das Schöne“ der Vernutztheit, konfrontierte sie mit den Zeichen einer zunehmend totalitär verwalteten Digitalwelt, band sie in kühne Metaphern, in überraschungsstiftende Vorgänge ein, so dass sie wieder zu Kräften kommen konnten.

Im Langgedicht „ich, bitte antworten!“ und mehr noch im Zyklus „materien“  stellte Gerhard Falkner seine Abtastversuche der Sprache prozessual aus, operierte in die Wortkörper hinein und ließ im Schriftbild freigestellte semantische Einheiten miteinander reagieren. Wichtiger als diese Einzeloperationen an den Grenzen des Sagbaren jedoch war die den gesamten Band grundierende Intention, die neu entwickelten Sprechweisen gerade nicht der Verantwortung zur existentiellen Selbstbestimmung zu entwinden. „wemut“ eröffnete der deutschsprachigen Lyrik neue Spielfelder und Sagemöglichkeiten. Nicht zufällig knüpft „Hölderlin Reparatur“ strukturell und intentional an diesen Band an, der damals dem Lyriker allerdings ein Schlussstein zu sein schien des lyrischen Werkes. Er kündigte an, mit „wemut“ seinen letzten Gedichtband vorgelegt zu haben. Erklärend führte er aus:

in den zwanzig Jahren, in denen ich mich fast uneingeschränkt der Dichtung ausgesetzt habe, [wurde] mir immer wahrscheinlicher, daß sie – und zunehmend mehr – die kühnste unter den Künsten ist, über deren extremste Bedingungen, die sie ab einer bestimmten Höhe diktiert, sich Unverfallene wohl schwerlich einen Begriff machen.

Falkner wäre nicht Falkner, hätte er den vorläufigen Beziehungsabbruch zum literarischen Betrieb nicht genutzt, um diesen, und mehr noch, die Zusammenhänge zwischen Poesie und dem gerade schier endlos siegenden Kapitalismus einer Tiefenanalyse zu unterziehen. Seine 1993 veröffentlichte Schrift „Über den Unwert des Gedichts“ ist, das wird im Abstand von 15 Jahren immer mehr klar, den großen Lyrik-Essays des 20. Jahrhunderts, etwa Benns „Probleme der Lyrik“ oder Adornos „Lyrik und Gesellschaft“ an die Seite zu stellen. Beim Wiederlesen erscheint es fast unglaublich, wie hellsichtig Falkner Anfang der neunziger Jahre eine Kulturkrise diagnostizierte, deren katastrophische Ausmaße heute nur noch von sehr unbeschwerten Gemütern zu leugnen sind.

„Der Mensch wird vom Markt, von der Information etc. besiedelt. Es soll darauf hinauslaufen, daß man bei ihm, wie beim Schwein, für den Markt gesprochen, keinen Abfall mehr hat. Das gewaltige innere Reich, das als einzige Ressource für die Regungen der Cultur und der humanen Gesamtverfassung gelten muß, wird gegenwär­tig in Dimensionen, wie sie für den Regenwald und die Ozon­schicht gelten, vernichtet. Von den Inhalten, die verlorengehen, wird ein Begriff abgeleitet, der den leeren, akustischen Erhalt einer Sache sichert, deren sinnfällige Bedeutung endet. Der Inhalt geht gut gefrostet ins Archiv, und die Kommunikation übernimmt davon das Tralala. So erhalten sich Gedicht, Lied, Bild, Schmerz, Jubel, Hoffnung, Erbauung, Anstand, Dignität, Ernst, Gerechtig­keit und die Pudelmütze von allen, die Freiheit, im leeren Sprachge­brauch, ohne daß man ihnen die Möglichkeiten, die sie ansprechen, im Entferntesten noch anmerkte.“

Dem Entleerungssog der „geführten Sprache“ arbeitete der Poet entgegen, indem er den in „wemut“ kreierten Ansatz zur Vielschichtigkeit weiterentwickelte, Sprechhaltungen immer wieder revidierte und doch unverwechselbar erkennbar blieb – eine singuläre Hochseil-Arbeit abseits von Gruppenbildungen, Zweckbündnissen und anderen Absicherungen. Es ist, mit Peter Huchel gesprochen,

Die Fähigkeit

der Dichterspinnen,

aus eigener Substanz

das dünne Seil zu drehen,

auf dem sie dann geschickt

mit zwei Gesichtern

und einer Feder

durch alle Lüfte balancieren.

                                                           (Peter Huchel, Die Gedichte, suhrkamp, S. 218) Davon zeugen nicht nur die „Endogenen Gedichte“ (2000) und das grandiose Berlin-und-Welt-Poem „gegensprechstadt ground zero“ (2006), sondern auch Theaterstücke und zuletzt die zauberhafte Novelle „Bruno“ (2008). In die im November 2008 erschienene „Hölderlin Reparatur“ sind gewiss auch all diese Tonspuren  eingegangen.

Dieser nun ist ein Gedichtband, der  es dem Leser nicht leicht zu machen gedenkt: Er fordert den entgegnenden, vergleichenden, eben noch mitdenkenden, gleich darauf möglichst mitswingenden Leser. Es beginnt ja schon beim Titel: Soll allen Ernstes Hölderlin einer Reparatur unterzogen werden? Aber es gibt keinen Bindestrich zwischen den beiden Hauptworten. Also stehen sie nebeneinander und gegenüber, das Signalwort des Sprachhöchsten, was Dichtung in deutscher Sprache überhaupt zu bieten hat, und der Verweis auf mechanisches Geschehen, auf ein Beschädigtes, das wieder repariert werden soll / kann / müsste. Dieses Beschädigte ist offenbar ein ziemlich komplexer Gegenstand, dessen Teilsysteme im einzelnen zu überprüfen sind, damit ersichtlich wird, warum das Ganze nicht mehr funktioniert. „Hölderlin Reparatur“ ist, und hier wird ein weiter Bogen zu „wemut“ geschlagen, ein konzeptioneller Gedichtband. Ein solcher Band ist mehr als eine Sammlung von einzelnen Gedichten. Vielmehr hat jeder Einzeltext eine bestimmte Funktion innerhalb der Gruppe, in der er steht; jede der acht Gruppen des Bandes setzt hinsichtlich Formierungsweise, semantischer Konzentration etc. eigene Schwerpunkte und ist gleichzeitig mit den anderen verbunden. Schließlich laufen alle Fäden im Konzept des Bandes zusammen und ineinander.Allein sagen sich alle Teile anders, so wie Solostimmen einen anderen Eindruck bewirken als ein Chor“, merkt der Autor zur Komposition des Bandes an. Die grundlegende Idee aber ist die, die Möglichkeiten sublimen Sprechens in einer Zeit beschädigter Sprachwelten – Falkner apostrophiert sie als „Tumult der neuen, fragmentierten und superkurzen Einsatz- und Bereitschaftssprachen“ - zu erkunden, und dies unter den Auspizien Hölderlins. Es ist ein experimentelles Unterfangen,  wie es Gerhard Falkner auch in einem Appendix definiert: „Eines der Ziele ist die `Entmaterialisierung`des Kunstwerks und die Einbeziehung des Betrachters. Gewohnte Sichtweisen, Begriffe und Zusammenhänge der Welt werden hinterfragt, neue Regeln erfunden. Es wird mit Kontexten, Bedeutungen und Assoziationen gearbeitet.“

Wohlan, begeben wir uns also auf eine Expedition. Und gleich erscheint ein erstes Hindernis: „Reparaturtexte“ ist die erste Abteilung überschrieben, und eingeleitet wird sie mit einem Hölderlin-Zitat aus der Sattlerschen Ausgabe, die modernem Verständnis nach so etwas wie Bandsalat bereit hält: „Ihr scha ik saal losen Gött blühet (er vorbei) und“ . Nun muss man wissen, dass die Sattlersche Ausgabe bei Stroemfeld akribisch die Entstehungsgeschichte eines Textes nachzeichnet, die Hölderlinsche Handschrift auch optisch getreu dem Original verortet, jedem Palimpsest genau nachgeht und damit eine verlässliche wissenschaftliche Aufarbeitung befördert. In den Gedichten der ersten Gruppe montiert Falkner diese Hölderlin-Zitate, oftmals mitsamt der Sattlerschen Fußnoten, in den Gedichttext, solcherart die Hölderlinschen Zeilen als archiviertes Fixum fest-stellend. Das Eingangsgedicht der den Band eröffnenden „Reparaturtexte“ beginnt mit einem Zitat aus „Brot und Wein“: „Trunkenheit ists, eigener Art, wenn Himmlische da sind“. Weiter geht es falknerisch: „Aber: Sind (denn) Himmlische da? / Sind Trunkenheit 22, Echo 26, nACHT / nicht Nachhall nur anderer / schadhafter Sprachen, schwärzlicher Sprachen (...)“ Damit ist nicht nur das große Thema des Bandes angeschlagen, sondern auch die Art und Weise der Entgegnung: Weniger das kontrastiv gesetzte Zitat, das mehr quantitativ eine Fallhöhe ausmisst, denn das insistierende Fragen bestimmt den Gestus. Somit tritt die Differenz gegenüber der immer neuen Eröffnung eines Gesprächsraumes zurück, es hallt das Celansche Utopie-Diktum „Wir sind ein Gespräch“ in diesen Gedichten zurück. Diese Distinktion ist nicht ganz unwichtig, weil sie alles andere als modisch ist: Ich erinnere mich, in der DDR-Lyrik der siebziger/achtziger Jahre war es zum Beispiel Usus geworden, Hölderlins „Komm ins Offene, Freund“ aus „Gang aufs Land“ der Deskription beengter Verhältnisse im ummauerten Land entgegenzusetzen. Dieser einleuchtenden Billigkeit binärer Konstellationen konnten sich nur Erich Arendt und Volker Braun durch Materialausfaltungen wirklich einigermaßen entziehen. Falkner dagegen ist in Teilen seiner Poetik, in der traumsicheren Beherrschung der Formenklaviatur, in der Auffassung der numinosen Dichterexistenz Hölderlin immer schon so beängstigend nahe gewesen wie kein anderer Lyriker der Gegenwart. Deshalb kann er anders ansetzen. Hierfür ein Beispiel:

Hölderlins alpine Sängerelegie „Heimkunft“ endet mit den Versen:

Schweigen müssen wir oft; es fehlen heilige Namen,
   Herzen schlagen und doch bleibet die Rede zurück?
Aber ein Saitenspiel leiht jeder Stunde die Töne,
   Und erfreuet vielleicht Himmlische, welche sich nahn.
Das bereitet und so ist auch beinahe die Sorge
   Schon befriediget, die unter das Freudige kam.

Sorgen, wie diese, muß, gern oder nicht, in der Seele
   Tragen ein Sänger und oft, aber die anderen nicht.

Falkners Gedichte nehmen diesen Ton behutsam auf, sie tragen ihn an einen dritten Ort: den des entgegnenden Gedichts. So hebt sein „Karneval der Sorge“ an: „so auch / beinahe die Sorge, bey nahe / ihre krasseste sogar / so auch, ihr Sinn; groß wie Gras / gräselndes (tänzelndes) Gras“. Der erhabene Gedichtgang wird später allerdings durchstört durch moderne Kraftworte, die in dieser Textumgebung als Fremdkörper erscheinen:

„...

komplett verplant / das unermesslich traurige

Entzüken ihrer Ungerichtetheit, ihre Gunst

nicht zum Spiele genommen

der Engel Netzwerke

verplempert

(u)nd alles Erhabene nur zur Ergötzung

der Knallköpfe noch/“

In der zweiten Gruppe „Reklamationen“ werden die veranschlagten Verfahren des Palimpsestes, der Weiterschreibung, der Palinodie, in der die inhaltlichen Mitteilungen eines bereits vorliegenden anderen Gedichts  unter genauer Beibehaltung dessen formaler Merkmale in ihr Gegenteil  verkehrt werden, auf Gedichte anderer Lyriker ausgeweitet: Texte von Benn,Trakl, Brecht, Goethe, Whitman, Bachmann, Eichendorff, Rilke, Mörike, Bachmann, Klopstock, Novalis, Celan werden so gleichsam perforiert, überschrieben, manchmal parodiert. Man wird, dies nebenbei, lange suchen müssen nach einem gegenwärtigen Dichter, der ein so intensives Liebes-Verhältnis zur deutschen und internationalen Poesietradition in seinem Werk pflegt. Ein schönes Beispiel, diese Reformulierungen in ein dialogisches Prinzip zu  überführen, ist das Gedicht „Tübingen.Julei“, das auf das berühmte Celan-Gedicht „Tübingen, Jänner“ aus dem Jahre 1961 rekurriert, das ja wiederum den Tübinger Turmbewohner – „möwenumschwirrt“ zitiert. Celans berühmte Verse an der Grenze des Verstummens noch einmal zur Erinnerung:

„Zur Blindheit über-

redete Augen.

Ihre - ‘ein

Rätsel ist Rein-

entsprungenes’ –, ihre

Erinnerung an

schwimmende Hölderlintürme, möwen-

umschwirrt.

Besuche ertrunkener Schreiner bei

diesen

tauchenden Worten:

Käme,

käme ein Mensch,

käme ein Mensch zur Welt, heute, mit

dem Lichtbart der

Patriarchen: er dürfte,

spräch er von dieser

Zeit, er

dürfte

nur lallen und lallen,

Und hier nun einige Verse der Falknerschen Beerbung:

„Am Himmel die kreisenden Hölderlinkräne –

ihre gelben Schwenkarme, die singen beim Drehen,

stocken.

Das zugrundegesamstagte Superego, der Matriarch

Tritt ans Fenster

(sagt er was, oder sagt er nichts?“

Falkner transponiert die Sprachverzweiflung Celans ins unbedingt Zeitgenössische, und das heißt: Nicht nur keine Entwarnung an der Problemfront zugeschütteter Sprache des ganz Eigenen, sondern Hypostasierung „im Bann sich verschlimmernder Umstände“, welche die Aufgipfelung des Poetischen und Auslöschung des Individuellen engführen. Denn das Gedicht endet:

Am Ende bleibt nicht einmal der eigene Name.

Dafür schockieren immer kühnere Wendungen das Papier.

Manches gibt ähnliches wieder,

aber vieles geht in der Verwechslung verloren...“

Engführungen sind Kulminationsmomente, die wieder in Weitungen führen. Die aber sind in heutiger Zeit nicht mit avantgardistischen Untertunnelungen oder einsamen Übergipfelungen zu haben, sondern in „Netzwerkumgebungen“, die die dritte Gedichtgruppe ausstellt: Diese Gedichte strecken ihre Fühler intertextuell in alle Richtungen aus, um das Eigene zu bestärken. Es ist ein wenig wie in der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende, der Light-Version vom Verlust des Poetischen in einer utilitarismusverkommenen Welt: Nachdem das Poetische bis auf Restbestände zerstört worden ist, müssen neue Benennungen gefunden werden, um es zu retten:

„etwas, wofür ich kein Wort weiß

liegt vor mir, eingewickelt in sich selbst

wie Schnee, der im Schnee steckt

oder Gras, gehüllt in Gras

etwas sehr Einhelliges, in sich

Gefestigtes, das jedem Versuch

Es zu benennen, widersteht

...“

Oh ja, es sind solche Concetti, die lebenerweckend sind. Gerhard Falkner, sowieso vertraut mit noch den entlegendsten Wucherungen der Weltpoesie, belehnt vollendet poetische Figurationen des Paradoxen, die in der deutschen Lyrik wenig gepflegt werden, dafür aber zum Beispiel bei Luis Cernuda.

Fest vertaut mit solchen Seilen führt Falkner nun  einen Konsistenzgewinn vor, der in der Zartheit eines Erblühens mündet, denn „Es erwachen die Segel / erst leise, als müssten sie reifen / um weiß zu werden/ an den Stängeln der Masten“. Es rührt die ungeschützte eigene Stimme an „Weißes Fleisch“, wie die vierte Gruppe, für mich das Zentrum des Gedichtbandes, übertitelt ist. Und dann beginnen Gedichte am Körper der Tage so: „Sie schläft und das ist alles. Sie liegt da/ wie ein weißer Schal. Ihr Herz, das sieht jeder, / es kentert. Sie hat keinen Bruder,/ der ihr sagt: deine Haut ist wie ein / schwebender Spiegel.“ Hier entfalten sich, elegant und prachtvoll, Anmut, Magie, ja auch Humor („Hohe Minne“) zu einem beglaubigten Pathos: „Ausgeklammerte Kühnheit und ausgeklammerte Seeligkeit einfach / aus den Klammern befreit“. Doch die durchbrochenen Epiphanien sind erarbeitet, und sie wurden bezahlt:

„Fünf vierzeilige Sommer leuchtete dieses große

hochgeschaukelte Leben, eine sapphische Strophe

mit kochenden Hebungen

Es kostete im Vorverkauf, dieses Leben

Das hochgeschaukelte, auch dieser Hebungen halber

Jahre der Melancholie“

Nach den weißen Klimax-Gedichten placiert Falkner in einer fünften Gruppe „47 Sätze gegen die Unruhe“ Aphorismen, poetologische Reflexionen, bonmotdurchsetzte Gedankengänge, Kalauer und Rätselhaftes. Das ist so ungewöhlich nicht in Gedichtbänden dieses Lyrikers. Hier jedoch haben diese Denk-Gänge wesentlich die Funktion, Übergänge wie Abbreviaturen zwischen Poesie und Denken einerseits transparent zu machen, andererseits auf Verflüssigungen beider Weisen von Welt-und Sprachaneignung im Gedicht selbst hinzulenken, zu den abschließenden „Materialschlachten“ wie zu den anderen Netzwerkverdichtungen. Denn in den Gedichten wird sowohl reflexiv wie bildhaft aufgeführt, was im Prosasatz nur stringent sein will:

„Dichtung ist eine Sprachbarriere. Sobald man sie überwindet befindet man sich zwar in höheren Regionen aber mit besonders eindrucksvollen Ausblicken in besonders grausige Abgründe.“

Abgründe dieser Art öffnen die sich anschließenden „Nichtverständigungstexte“, die ihren Reiz nicht etwa aus einer besonders dunklen Hermethik ziehen, sondern daraus, dass Sprachwelten miteinander kollidieren. Falkner führt uns sechs Zusammenstöße zwischen religiöser Anrufung etwa im Kirchenlied, verballhornten Gedichtzitaten samt Anspielungen(Rilke und Theo Sommer in „Herr Sommer, es ist Zeit“) und – jetzt wird es pikant – Texten der Kommunikationstheorie vor. Gerade deren pseudologische, pseudophilosophische  Semantik aber bereitet die Grundlage dafür, dass die sechs Texte den Aberwitz des Un-Sinns produzieren.

Die Schlussgruppe Material (schlachten), lies: Materialschlacht im Plural wie auch: „(das) Material / schlachten“, gipfelt das Vor-Gebildete  zu einer unübersichtlichen Sprachgebirgslandschaft. Verabschiedet wird die lineare Schreibweise zugunsten eines verästelten Geflechts von Sprachbiotopen, die synaptisch miteinander verbunden sind. Das Miteinander und Gegeneinander von Zitaten, Gedichteinfällen, die sich längst im Band entfalteten, politisch-philosophischen Notaten, geschichtlichen Verweisen, Werbeschnipseln etc. offenbaren die „tosende Werkstatt“ des Dichters, lassen den Leser erahnen, wie aus dem chaotischen Neuronengewitter von Wahrnehmung, Erinnerung, Kunstgedächtnis, philosophischer Reflexion Strukturierungen hervorgehen, die den Satz in den Gedankengang, den Vers ins Gedicht und beide in die Netzwerke heutiger Verbundenheiten befördern. Wahrlich ein furioses Finale!

Es geht nicht anders: Man muss diesen Gedichtband kreuz und quer, vorwärts und rückwärts lesen, um in den Genuss dieser Poesie-Kicks zu gelangen. Das alles ist pure Absicht, und der Dichter weiß, dass die Gewohneiten der Internetkultur dieser zuspielen. „Hölderlin Reparatur“ ist übervoll an Lust, Zartheit, Klugheit, Schmerz, dem jungen user zugeeignet wie dem Liebhaber raffinierter Klassik – auf alle Fälle aber haben wir es mit einer „Expedition in die Exorbitanz“ (Burger) zu tun, der schwerlich Gleichwertiges an die Seite gestellt werden kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Was bleibet aber, stiften die Dichter“, lautet der berühmte Schlussvers von Hölderlins „Andenken“. In einer Zeit, in der nichts mehr bleibt, wie es war, der unsren also, sagt der Dichter Falkner: „Wir aber, die Dichter / wir gehen stiften. Wir /zwitschern zwischen den / Dingen, als Nichtse, als Geduld /proben Gottes“. Möge der Peter-Huchel-Preis Gerhard Falkner zu neuen Zwitschermaschinen inspirieren, und Ihnen danke ich für Aufmerksamkeit und Geduld.