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Peter Geist

 

Hegelsche Pirouetten auf dünnem Eis

Wolf Biermann, Wie man Verse macht und Lieder, Kiepenheuer&Witsch, Köln 1997

 

Als er in den Westen ausgesperrt wurde, begann ich in Leipzig gerade mein Studium. In jenen Wochen des Anfangs vom Ende der DDR war die Stellung zu Wolf Biermann eine Frage, die die ortsübliche Balance der Blenden und Blendungen in den hierarchischen Rollenzuschreibungen der Gesellschaft durcheinanderwarf: Die einen gaben offizielle Stellungnahmen ab, andere wurden genötigt,  berufliche Stellungen aufzugeben, welche stellten sich dumm, andere auf Durchgang und wieder andere einen Ausreiseantrag. Ich erinnere die heimeligen Schauer des Verbotenen, wenn wir uns auf Studentenfeten Biermann-Lieder zu-muteten, und ahnten doch schon, daß das entschieden zuwenig war gegen Ratlosigkeit und Ohnmacht. Als in den achtziger Jahren das Staatswesen zu wesen begann und schließlich implodierte, war die (vermeintlich) rhizomatische „zweite“ Kultur aus Lebenskunst&Punk&Poesie für mich spannender als Lieder übers Politbüro. Anfang Dezember 1989 konnte Biermann endlich sein erstes Ostkonzert in einer hundekalten Leipziger Messehalle geben, auf trat schon eine Legende. Er rief sich nachdrücklich in Erinnerung, als er mit der Anderson-Enttarnung die Nach-und-Nachgeborenen unsanft auf eigene Illusionsbildungen verwies, zugleich sein Unverständnis gegenüber einer ihm fremden Literaturszene in höhnische Sottisen glaubte gießen zu müssen. Und seine medialen Auftritte vor allem im „Spiegel“ hinterließen hernach eher zwiespältige Eindrücke eines Zeitgeist-Arrivierten, der triumphalisch seine späte Genugtuung auskostete. So grob sortierten sich die Bilder.

Insofern bietet eine offerierte Poetik die gute Gelegenheit, wieder etwas irritiert zu werden. Denn 1993/94 hatte der Maestro einen Ort gefunden, an dem Redemächtigkeit nicht nur einen symbolischen Ort besetzen muß: An der Düsseldorfer Universität referierte er darüber, „wie man Verse macht und Lieder“. Der Obertitel dieser „Poetik in acht Gängen“ offenbart ein Grundaxiom Biermannscher Rhetorik. Denn natürlich kann er nur darüber sprechen, wie er Verse macht, und das räumt er gleich zu Beginn der Vorlesungen scheinbar ein.

Die Vorlesungen sind stets nach dem gleichen Prinzip gebaut: Anknüpfen an die letzte Vorlesung, Exkurse in die Lyriktheorie und Dichtungsgeschichte, Übergang zu Beispielen aus dem eigenen Schaffen, dann läßt Biermann anekdotisch, polemisch, arabeskenhaft teilhaben an Lebensgeschichten: Erzählperlen, die in ungefähr der Lebenskette entfädelt werden. Er schafft, spielend, die Übergänge vom Dozieren zum Erzählen. Fürwahr ein methodisch glückliches Kalkül, das die Aufmerksamkeit der Studenten geschickt bindet und so manchem deutschen Hochschulprofessor eine Lektion in Rhetorik erteilen könnte. Und daß Biermann, wenn er in Erzählfahrt kommt, sich bisweilen unakademisch eines Schnodderpathos bemächtigt, das gleitende Übergänge von geschliffener Ironie zum uneleganten Sarkasmus erlaubt, ist als plebejisch tradiertes Unterlaufen universitärer Macht-Sprache mitunter vergnüglich zu lesen. Biermann, man weiß es, neigt zu maßlosen Übertreibungen, die er in deftige Schmähung oder emphatischen Jubelruf  münden läßt. Daß dabei so mancher literaturhistorischer Schnellvergleich reichlich schief ausfällt, das kann der Aufwand an Beredungskunst freilich kaum überspielen. So, wenn im Vergleich zu Wolkenstein „der Ton des originalen Expressionismus unseres Jahrhunderts wie die aufschäumende Kaffeehausmusik für Krüppel aus dem ersten Weltkrieg“ klingen soll, wenn romantische Ästhetiken auf „Gefühlsduselei“ (S.74) reduziert werden oder „der Vormarsch der Avantgarde ... im Grunde ein konservativer Rückzug vor den Maschinen des Industriezeitalters“ gewesen sein soll. Derlei kurzschlüssige Rösselsprünge, die mit der Verve gegen „modische Schubladen“ oder „poetologischen Dogmatismus (S.117) legitimiert werden, offenbaren aber eher die Zweifelhaftigkeit einer Verfahrensweise, die einzelne Aspekte komplexer dichtungs- oder lebensgeschichtlicher Phänomene isoliert, sie zum Popanz aufbläst, der dann mit Effet im Stachelsatz zerknallt werden kann. Was in Pamphlet und Polemik angemessen ist, muß es im dichtungsgeschichtlichen Vorlesungsexkurs durchaus nicht sein, und letzteren Anspruch erhebt Biermann durchaus in seinen Parfourceritten durch die europäische Literaturgeschichte. Auch wenn er möglichem kritischen Einspruch mit dem Vor-Satz, „ein Stück lebendige Literaturgeschichte der subjektivsten Unart“ (S.5) zu bieten, nicht ungeschickt vorzubeugen versucht.

Biermann beruft sich, wie von ihm zu erwarten, auf eine Dichtungstradition, die von Villon über Heine bis Brecht reicht und den Gegensatz von „profan“ der „pontifikal“ markiert. Sie zeichne sich durch eine „realistische Grundhaltung“ aus, „die weder abstrakte Ideen bebildert und heruntermenschelt noch privaten Gefühlsmuff tümlich ins Völkische aufbläst.“ (S. 75) Seine Auffassung vom Gedicht leitet sich wesentlich von Hegels Ästhetik her, die ihm „bis heute unübertroffen“ erscheint, „will sagen: Ich kenne nichts Besseres.“ Da reibe ich mir aber dann doch die Augen, wenn ein Dichter am Ende des 20. Jahrhunderts die nachhegelschen Poetiken der Moderne seit Baudelaire entweder nicht zur Kenntnis nimmt oder permanent abwertet, wofür zahlreiche Seitenhiebe genügend Belege liefern. Biermann versteift sich in Anlehnung an Hegels Diktum, wonach der Dichter die äußere Welt schlackenlos seiner Subjektivität anverwandeln müsse, damit Poesie Selbstausdruck des fühlenden Subjekts werde, auf die These, daß sich der Dichter „mehr als die Autoren in anderen Gattungen um das Natur-Schöne oder -Häßliche seines Ichs kümmern (muß). Er muß so sein und leben, daß er das lyrische Fundamentalwörtchen „Ich“ radikal und rücksichtslos in Gebrauch nehmen kann.“ Und an anderer Stelle spitzt er imperativisch zu: „Das Leben des lyrischen Dichters muß selbst schon die Qualität eines guten Gedichts haben.“

Diese Haltung, gelebte Ethik und Ästhetik unauflöslich zusammenzusehen, hat Biermann für sich stets als Antrieb verstehen können. Von daher versteht sich sein Zorn auf den postmodern (v)erklärten Verrat einiger Lyriker in der DDR an Freunden und Kollegen. Diese Billigkeiten schlugen allemal auf die Aufnahme ihrer Gedichte zurück, auch wenn Mediendauerfeuer das seine dazu beitrug, Gedichte zu Indizienbeweisen für die Verworfenheiten ihrer polylingualen Verfasser zu degradieren. Nur zeigt ein flüchtiger Blick auf die Lyrikgeschichte zumindest des letzten Jahrhunderts, daß das Verhältnis zwischen gelebtem Leben und seiner zumeist disparaten Würdigkeit, den kreativen Antriebigkeiten und dem dichterischen Werk weitaus vielschichtiger ist, als das schlichte Mimesis-Axiome glauben machen können. Der Vorlesende hat dafür selbst genügend Beispiele parat und warnt gegen Ende seiner Lektionen ausdrücklich vor Vereinfachungen. Und doch: Die „personae“ Pessoas, die vielfältigen Maskenspiele, Imaginationen, Privatmythologien, Wortschleifungen oder artistischen Kalkulations-Phantasien der modernen Lyrik erscheinen unter den Biermannschen Auspizien letztlich als Abfall von einer klassisch-realistischen Ideallinie. Es ist irgendwie beklemmend: Wo Biermann lyriktheoretisch argumentiert, ist er manchmal nicht weit entfernt von jenen Lehrmeistern des frühen „sozialistischen Realismus“, die er verachtet und verlacht hatte und die die pseudotheoretische Munition für jene lieferten, die ihn kujonierten. Ich zögere, diesen Satz hinzuschreiben. Eine Poetik der Authentizität mag für einen Liedermacher wichtig sein, der die direkte Ich-Ansprache über Ich-Aussprache sucht, eine Poetik der Wahrhaftigkeit half  dem Sänger-Dichter, sich den Verführungen der Macht  entgegenzustellen und am Psychoterror nicht zu zerbrechen. „Ich erlebte in der DDR Ich-Verletzungen, die ich nicht durch das Herausschreien in einem Lied oder das Gesundbeten in einem Gedicht heilen konnte.“ (S.98) Diesen Satz im Hinterkopf, komme ich nicht umhin, dort Bedenken anzumelden, wo er ureigenes Terrain verläßt. Wenn er aus seiner Werkstatt berichtet, er seine Gegenstände unterschiedlichen Beleuchtungen aussetzt, entstehen facettenreiche Denk-Gänge, wie im Vergleich verschiedener Villon-Übertragungen, in den Reflexionen über das Verhältnis von Text und Musik oder über die „Dolmetzscherey“ der Nachdichtungsarbeit, über Erlebnisse mit Freunden und Feinden. Wenn er allerdings dialektische Betrachtungsweise mit bipolaren Gegen-Sätzen  in eins setzt, habe ich oft den Eindruck eines schalen Reduktionismus: Wie etwa in der Gegenüberstellung des „Riesen“ Brecht als Verfasser der „Buckower Elegien“ und des „Zwerges“ Brecht als Verfasser des 17.Juni-Briefes - gewiß mehr als eine „unterthänigste Ergebenheitsadresse“ (S.60) an Walter Ulbricht. Wie etwa im Auseinanderdividieren des Stückeschreibers Heiner Müller - von den Musen geküßt - und des politischen Aphoristikers, den die „Furien küßten“( 80). Da stellt er stakkatohaft in die Tiefe bohrende Fragen zu Talent und Charakter, um gleich darauf ein Vorrecht für Rundumschläge gegen Schriftstellerkollegen vorzugsweise ostelbischer Herkunft - Betrachtungen über westlich sozialisierte Proteus-Naturen habe ich durchaus vermißt -abzuleiten, die ihm politisch oder ästhetisch nicht passen. Mit Personen und Positionen, die nicht in seine Sichtweise integrierbar sind, kann er sich überhäufig nur über generalisierende Abwertung ins Vernehmen setzen - das beginnt irgendwann zu langweilen.

Im übrigen: Biermanns harsche Absage an linkes Denken mag seine Erklärung in erlittenen Verletzungen finden, durchsichtig finde ich allemal das  Überblenden der entscheidenden Unterschiede von zu Recht abgedankten Systemutopien, utopischen Denkbewegungen überhaupt und andererseits dem Insistieren auf einen gerechteren Gesellschaftsvertrag. Hier sind längst neue Ideologiefallen aufgestellt worden. Der einst verehrte Wolf Biermann hat sich dem herrschenden mainstream anbequemt, nur die Geste läßt noch den Wolf erkennen. Aber die stört kaum noch auf.